FTD: Lehman legt 613-Milliarden-Pleite hin
15.09.2008 - 09:17 Das US-Finanzsystem ist in der Nacht zum Montag von massiven Umbrüchen erschüttert worden. Die krisengeschüttelte
US-Investmentbank Lehman Brothers beantragte nach gescheiterten Rettungsversuchen Gläubigerschutz. Die Märkte sind in Aufruhr.
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Die amerikanische Finanzwelt steht inmitten der turbulentesten Zeiten seit der Großen Depression: Lehman Brothers, die in Not geratene fünftgrößte amerikanische Investmentbank, konnte am Wochenende trotz höchster Bemühungen keinen Retter finden. Deshalb beantragte das traditionsreiche Geldinstitut Gläubigerschutz unter Chapter 11. Laut dem Insolvenzgericht vom Southern District of New York saß Lehman Brothers auf einem Schuldenberg von 613 Mrd. $. Damit übersteigt die Pleite den Zusammenruch das Junk-Bond-Hauses Drexel Burnham Lambert im Jahr 1990.
Auch Lehmans Rivale Merrill Lynch erfasste die Kreditkrise mit voller Wucht. Die drittgrößte Investmentbank flüchtete unter das Dach der Bank of America. Für einen Übernahmepreis von rund 50 Mrd. $ verliert damit ein weiteres namhaftes Geldinstitut seine Eigenständigkeit. Außerdem drohte dem Versicherer American International Group (AIG) eine Herabstufung, die zu einem schwerwiegenden Abzug von Kapital führen könne.
Mit großer Sorge wird heute der Auftakt an den internationalen Börsen beobachtet Europas Aktienmärkte lagen vor Handelsstart im Minus. Futures auf den Stoxx 50 lagen 3,5 Prozent im Minus, Dezemberkontrakte auf den S&P 500 zeigten ein Minus von 3,3 Prozent zu. der MSCI-Asia-Pacific-Index fiel um 1,4 Prozent -
Japan ausgenommen.
Der Euro legte in der Nacht zum Montag zeitweise über die Marke von 1,44 $ und erreichte in der Spitze 1,4481 $. Zum Yen fiel der Dollar um 2,1 Prozent auf 105 64 Yen. Damit ist der Greenback auf bestem Wege, den größten Tageseinbruch seit dem 16. August 2007 zu erleiden. Im frühen Handel büßte die europäische Gemeinschaftswährung allerdings mit 1,4377 $ einen Teil ihrer Gewinne wieder ein Spannungen deuteten lasen sich auch auf dem Kreditderivatemarkt ab: Der Itraxx-Crossover-Index, an dem sich das Ausfallrisiko von Unternehmen geringer Bonität ablesen lässt, sprang um 82 Basispunkte auf 627 Basispunkte.
Fed kündigt Stützungshilfen an
Die US-Notenbank kündigte angesichts der Belastungen eine Reihe von Initiativen zur Unterstützung der Finanzmärkte an. Deren Liquidität solle verbessert werden, sagte Fed-Chef Ben Bernanke. Zudem würden damit die "potenziellen Risiken und Störungen der Märkte" abgeschwächt. Konkret geht es um die beiden neuen Fazilitäten Primary Dealer Credit Facility (PDCF) und die Term Securities Lending Facility (TSLF). Diese geldpolitischen Fenster wurden extra für Investmentbanken geschaffen. Nach der Pleite von Lehman Brothers akzeptiert nun die Notenbank noch mehr Wertpapiere als bisher Sicherheiten für Notfallkredite. Außerdem wird das TSLF-Volumen von 175 auf 200 Mrd. $ aufgestockt.
Zehn Großbanken kündigten ihrerseits an, angesichts des "außergewöhnlichen Marktumfelds" gemeinsam für eine maximale Liquidität sorgen zu wollen. Zu den Instituten gehören die Deutsche Bank, Credit Suisse und UBS.
Nur noch Morgan Stanley und Goldman Sach übrig
Was anfangs als Hypothekenkrise begann, weitete sich über Monate zu einer Krise des gesamten Kapitalmarkts aus. Abschreibungen von rund 500 Mrd. $, Spannungen an den Geldmärkten und mangelndes Vertrauen der Investoren brachte das Geschäftsmodell der Brokerhäuser ins Wanken Nachdem Bear Stearns bereits Mitte März an JP Morgan verkauft, bleiben nach der Übernahme von Merrill Lynch und dem Konkurs von Lehman Brothers nur noch zwei unabhängige Broker-Dealer übrig: Morgan Stanley und Goldman Sachs. "Das US-Finanzsystem entdeckt, dass die tektonischen Platten unter seinem Fundament sich so verschieben, wie sie sich noch nie verschoben haben", bewertete Peter Kenny von Knight Equity Markets in der Nacht die Vorgänge. "Es ist eine neue Finanzwelt an der Schwelle zu einer kompletten Neuorganisation."
Bank of America und Barclays zuckten zurück
Der Absturz von Lehman Brothers ist besonders bitter. Analysten hatten das Unternehmen angesichts eines Liquiditätspuffers von 42 Mrd. $ als gesund bezeichnet. Richard Bove, Analyst bei Ladenburg & Thalmann, hatte zuletzt sogar geschrieben: "Ich bin immer noch der Überzeugung, dass Lehman Brothers eines der besten Unternehmen an der Wall Street" ist. Doch das Wall-Street-Haus, das 26.000 Mitarbeiter beschäftigt und eine Bilanzsumme von 786 Mrd. $ aufwies, gelang es nicht, über das Wochenende einen Käufer zu finden. Sowohl Bank of America als auch Barclays, die als potenzielle Interessenten gehandelt wurden, hielten sich bei Lehman Brothers zurück. Beide Banken hatten auf eine finanzielle Hilfe durch die Regierung gehofft.
Noch ist unklar, was der Zusammenbruch von Lehman Brothers für Kunden und den Derivatemarkt bedeutet. Die US-Börsenaufsicht SEC versuchte in einer Stellungnahme, die Ängste zu beruhigen und verwies auf den Notfonds Securities Investor Protection (SIPC), der die Wertpapiereinlagen der Handelsparteien schützt. "Mitarbeiter der SEC werden in den kommenden Wochen vor Ort sein. Alles, was Lehman Brothers unternimmt, wird in keiner Weise die SIPC-Schutz beeinträchtigen", hieß es in der Stellungnahme. Die SEC gab darüber hinaus bekannt, sich mit den Börsenaufsichten in Großbritannien, Japan und der deutschen BaFin abgestimmt zu haben.
Derivateverband hält Notsitzung ab
Besonders groß ist die Unsicherheit, was die Lehman-Pleite für den Gesamtmarkt bedeutet. Bankanalyst Bove erwartet ein wildes Durcheinander. "Lehman Brothers hat 600 Mrd. $ an Vermögenswerten und 550 Mrd. $ in ausstehenden Schulden. Das Abwickeln der Bank wird bei anderen Unternehmen und auf den Märkten generell für Probleme sorgen."
Besonders relevant ist die Lehman-Pleite für den Derivatemarkt. Die Branchenvereinigung ISDA hielt am Sonntag eine außerordentliche Handelssitzung ab, damit andere Unternehmen ihr Derivaterisiko mit Lehman reduzieren konnten. "Diese Übung ist dazu gedacht, dass Kontrahentenrisiko durch das Schließen und Glätten von Positionen zu verringern", sagte Robert Pickel, Vorstandschef der ISDA. Der Grundgedanke: Positionen werden saldiert - sowohl für Kredit-, Aktien- Devisen- und Rohstoffderivate.
Yer imleri